Vom Staatskirchenrecht zum Religionsverfassungsrecht

Neben den rund 47,2 Millionen Angehörigen der katholischen und evangelischen Kirchen, leben in Deutschland 4,7 Millionen Muslime, 1,5 Millionen orthodoxe Christen und 200.000 Juden. Mehr als ein Drittel aller Menschen in Deutschland ist konfessionslos oder Mitglied einer anderen Glaubensgemeinschaft. Die zunehmende Pluralität an Religionen und Weltanschauungen in Deutschland stellt auch neue Fragen und rechtliche Anforderungen an das geltende Religionsverfasssungsrecht. Das auch von Liberalen zu Beginn der Weimarer Republik entwickelte kooperative Trennungsmodell von Staat und Religion hat sich bei der Lösung vieler gesellschaftlicher Fragestellungen bewährt. Es lässt aber zugleich Problemstellungen offen. Darüber haben in einer Runde zum Thema „Vom Staatskirchenrecht zum Religionsverfassungsrecht – Anpassung oder Neuregelung?“ Expertinnen und Experten auf Einladung der Fraktion der Freien Demokraten mit dem religionspolitischen Sprecher Benjamin Strasser diskutiert.

 

 

In der von Chefkorrespondentin des Evangelischen Pressedienstes Corinna Buschow moderierten Diskussion wurden zahlreiche Aspekte von religiösen Feiertagen, über Religionslehrerausbildung, der Bedeutung religiöser (Bekleidungs-)Symbole, der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs bis hin zur Finanzierung von Religionsgesellschaften gesprochen.

Die schleppende Aufarbeitung von Missbrauchstaten in den Kirchen setzt nach Ansicht des Göttinger Kirchenrechtlers Hans Michael Heinig die Kooperationsbeziehung von Staat und Kirche unter Druck. Das Thema habe das Potenzial, den Kooperationsgedanken von Religion und Politik "grundlegend zu unterminieren", sagte Heinig. Das Kooperationsmodell basiere auch auf dem Vertrauen, dass "kein Missbrauch von Machtpositionen" stattfinde - etwa in Schulen oder in der Jugendarbeit, betonte Heinig. Die Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften stehe in einer säkularen Gesellschaft ohnehin unter Druck.

Benjamin Strasser, sagte, es sei nicht so einfach, staatliche Strukturen für die Missbrauchsaufarbeitung in der Kirche zu schaffen. Zum einen seien viele der Missbrauchstaten verjährt. Dadurch könne nicht mehr mit den Mitteln des Strafrechts für Gerechtigkeit gesorgt werden. Zum anderen brauche man die Kirchen bei der Aufarbeitung. Sie müssten beispielsweise täterschützende Strukturen abbauen.

Der Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück Bülent Uçar skizzierte die Imam-Ausbildung an seiner Hochschule und ging dabei auch auf das Thema Finanzierung der Religionsgemeinschaften aus dem Ausland ein. Zugleich machte er deutlich, dass man in Deutschland von der Diskussion ums Kopftuch wegkommen müsse und endlich einen ganzheitlicheren Blick auf den Islam werfen müsse.

Angelika Günzel, die als Professorin für Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung ist, sagte aus der Perspektive der orthodox praktizierenden Jüdin, dass sie sich mehr Rücksicht auf Feiertage anderer Religionen wünsche. Für religiöse Jüdinnen und Juden sei es zum Beispiel kaum möglich, einen Fachanwalt zu machen, da diese Fortbildungen meistens am Schabbat stattfinden würden.

Anargyros Anapliotis, Dozent für Kirchenrecht an der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wünschte sich mehr Pragmatismus im Umgang mit Religionsgesellschaften. Die Zusammenarbeit sei in Deutschland gut, aber die Vielfalt der Organisation der Religionsgemeinschaften erwarte auch vielfältige Antworten. In der Orthodoxie sei es etwa für Viele nicht vorstellbar in Mitgliederlisten geführt zu werden, auf die der Staat Zugriff haben könne.

Die Runde machte deutlich, dass es bei der Diskussion um das künftige Religionsverfassungsrecht eher um eine Weiterentwicklung des derzeitigen Staatskirchenrechts gehen müsse, denn um eine völlige Neufassung bzw. Neujustierung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionen in Deutschland.

 

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